Dienstag, 10. Juli 2012

Was ist eine Montessori-Schule?


Spielend und eigeninitiativ lernen

Maria Montessori gefiel es nicht, wenn Schüler in ein Konzept gespresst wurden und streng nach den Regeln lernen mussten, die sich kluge Köpfe für den Lehrplan ausgedacht hatten. Sie war überzeugt, dass in jedem Menschen ein eigener Lehrplan eingeschrieben sei. Dem müsse Rechnung getragen werden. Nach der Montessori-Pädagogik lernen Schüler selbstbestimmt und nach eigenem Tempo. Sie entscheiden, womit sie sich in der Freiarbeit beschäftigen wollen, der Lehrer unterstützt sie nur. Klingt nach Laissez faire, ist es aber nicht. Hinter der Montessori-Pädagogik steht eine kluge Kombination aus Freiheit und Anleitung. Nach Montessori sollen sich Schüler frei entfalten und schnell selbständig werden. Montessori erkannte, dass Kinder, die aus eigenem Antrieb arbeiten, besonders gut und konzentriert lernen - und Kindern von gewöhnlichen Schulen voraus sind.

Montessori-Pädagogik - die Philosophie

Für die Ärztin Maria Montessori steht zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest: Das Kind hat eine eigene Individualität, die sich zu einem selbständigen und unabhängigen Menschen entwickeln will. Nicht der Erzieher weiß, was gut für den Schüler ist, sondern der Schüler selbst.
Nach Montessori trägt jeder Mensch schon einen Plan für die persönliche Entwicklung in sich. Er braucht nur Hilfen zur Selbstentwicklung. Nach konventionellen Unterrichtsmethoden würden die Kinder in ihrem Plan gestört, meint Montessori. Fehlentwicklungen und Aggressionen könnten die Folge sein. Montessoris Grundsatz dagegen lautet: „Hilf mir, es selbst zu tun.“
In der Freiarbeit, die die Montessori-Pädagogik kennzeichnet, entscheiden die Schüler, ob sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit rechnen, schreiben oder sich lieber mit Geschichte oder Erdkunde beschäftigen wollen. Auch die Arbeitsmaterialien suchen die Kinder selbst aus. Zur Verfügung stehen Würfel, Perlen, rote Stäbe zum Rechnen, eine Waage, Wortsetzkästchen und Ähnliches. Die Kinder
helfen einander und kontrollieren ihre Ergebnisse selbst. Die Lösungen liegen den Arbeitsmaterialien bei. Der Lehrer schreitet nur ein, wenn ein Schüler Hilfe braucht.
In den übrigen Stunden findet konventioneller Unterricht statt, der sich nach dem offiziellen Lehrplan richtet. Noten gibt es nur im letzten Grundschuljahr. Das steht der Montessori-Pädagogik zwar entgegen, ist aber wichtig, wenn es um den Übertritt in eine gewöhnliche weiterführende Schule geht. Neun- und Zehnjährige bekommen zusätzlichen Unterricht zur Vorbereitung. Das Wissen fragen die Lehrer in Tests ab und vergeben Noten.
Grundsätzlich hält sich der Lehrer einer Montessori-Schule im Hintergrund. Er stellt die Aufgaben, über die Ausführung entscheidet das Kind. Nach Montessori weiß nicht der Lehrer, was dem Kind gut tut, sondern das Kind selbst. Was für das jeweilige Kind gerade richtig ist, hängt von der Entwicklungsphase ab und zeigt sich an seinem Interesse für eine Sache.
Montessori spricht von "sensiblen Perioden", in denen ein Kind besonders aufmerksam und bereit ist, sich bestimmte Fähigkeiten oder ein bestimmtes Wissen anzueignen. Der Schüler beschäftigt sich dann von ganz allein mit einer Sache, und zwar höchst konzentriert, wie folgendes Beispiel aus Montessoris Schulalltag verdeutlicht: Montessori beobachtet ein Mädchen, das ganz versunken mit einem Holzzylinder spielt. Es bemerkt gar nicht, dass sie jemand samt Stuhl hochhebt. Montessori nennt das "Polarisation der Aufmerksamkeit".

Die Gründerin - Ärztin, Pädagogin, Star der Emanzipation
Maria Montessori ist ihrer Zeit voraus. Die 1870 in Ancona Geborene hat als erste Frau Italiens Medizin studiert und darin promoviert. Sie gilt als Star der Frauenbewegung und setzt sich für sozialen Fortschritt ein - insbesondere an Schulen und Kindergärten. Als junge Ärztin arbeitet Montessori in einer psychiatrischen Universitätsklinik in Rom mit geistig behinderten Kindern. Hier vollzieht sich ein Wandel von der Medizin zur Pädagogik. Die Ärztin beobachtet, dass nicht Medizin geistig behinderten Kindern hilft, sondern Pädagogik.
Montessori liest Bücher der französischen Ärzte Edouard Séguin und Jean-Marie Itard. Beide haben Materialien entwickelt, die die Behinderungen von Kindern kompensieren sollen. Montessori kommt zu der Erkenntnis, dass die sinnliche Wahrnehmung durch spezielle Übungen angeregt werden müsse und überträgt diese Erziehungsmethode auf das Kinderhaus „Casa die Bambini“, das 1907 im Armenviertel Roms eröffnet hat und dessen Leitung Montessori für zwei Jahre übernimmt. Die Materialien der französischen Ärzte entwickelt sie weiter. Montessori stellt fest, dass Kinder sehr konzentriert arbeiten können und schnell lernen, wenn sie eigeninitiativ sein dürfen.
Außerdem beobachtet die Ärztin, dass geistig behinderte Kinder den Schülern von gewöhnlichen Schulen bei Intelligenzprüfungen überlegen sind. Montessori folgert daraus, dass die andere Methode auch für Gesunde gut sein und die Pädagogik samt Erziehung und Arbeitsmaterialien neu konzipiert werden müsse.
Wie sich Babys je nach Entwicklungsphase aus eigenem Antrieb die Beschäftigung suchen, die sie gerade interessiert und bei der sie etwas Neues lernen, so lernen Kinder laut Montessori auch später noch. Das Kind als Individuum steht bei ihr im Mittelpunkt.

Nazis verbieten Montessori-Schulen - Montessori macht trotzdem weiter
Als Montessori das Kinderhaus nach zwei Jahren verlässt, macht sie ihre neue Erziehungstheorie bekannt. Sie unterrichtet viele Jungen und Mädchen nach ihrer neuen Strategie. 1909 veröffentlicht sie ihr erstes Buch, weitere Bücher und Artikel folgen. Außerdem hält Montessori Vorträge und gibt Kurse über ihre Pädagogik - bis ins hohe Alter und in vielen Ländern. Allein in Indien, wo Montessori nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sieben Jahre lebt, bildet sie über 1000 Lehrer aus. Während der Zeit des Nationalsozialismus sind Montessori-Einrichtungen verboten. Danach entstehen in vielen Ländern der Welt bald viele Schulen nach ihrem Vorbild. Maria Montessori stirbt am 6. Mai 1952 in Noordwijk aan Zee.

Montessori-Pädagogik - die Schulen heute
In Deutschland arbeiten rund 1000, meist private Schulen und Kitas nach der Montessori-Pädagogik, Kindertagestätten gibt es rund 600. Bei Montessori-Schulen handelt es sich nicht mehr bloß um Grundschulen, sondern auch um Fachoberschulen und Gymnasien. Vor allem in Bayern sind Schulen verbreitet, die nach der Montessori-Pädagogik arbeiten. Rund 8000 bayerische  Kinder und Jugendliche besuchen eine solche Schule. In Norddeutschland gibt es relativ wenige.
Jedes Kind kann heute eine Montessori-Schule besuchen, wenn es die erforderliche Schulreife besitzt. Vor allem aber müssen die Eltern bereit sein, den finanziellen Mehraufwand zu leisten und sich darüber hinaus stärker als an den Regelschulen für die Einrichtung zu engagieren. Die Höhe des Schulgeldes ist von Schule zu Schule verschieden. Manche Schulen haben feste Sätze, andere richten sich nach dem Einkommen der Eltern. In der Regel überschreitet der monatliche Satz die 200-Marke nicht. 

Von Dorothea Schmidt, wissen.de

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